Schwerer kombinierter Immundefekt (SCID)
SCID ist eine angeborene Erkrankung des Abwehrsystems. Der Begriff SCID steht für „schwerer kombinierter Immundefekt“. „Schwer“ bezieht sich darauf, dass die Erkrankung lebensbedrohlich ist. Bei der SCID-Erkrankung ist das Abwehrsystem so schwach, dass kaum noch Schutz vor Infektionen besteht.
SCID ist ein „kombinierter“ Immundefekt, was bedeutet, dass verschiedene Arme des Immunsystems betroffen sind. Hierzu gehört der Teil der Abwehr, der vorwiegend für die Kontrolle von Infektionen mit Bakterien notwendig ist und der Teil der Abwehr, der vorwiegend gegen Infektionen mit Viren oder Pilzen benötigt wird.
Das wesentliche Merkmal beim SCID ist das Fehlen oder die fehlende Funktion von Lymphozyten, die entscheidende Aufgaben bei der Abwehr von Infektionen haben. Nicht alle Formen der SCID-Erkrankung sind gleich, aber alle Formen haben eine schwere Störung des Immunsystems zur Folge und die betroffenen Kinder brauchen dringend eine sofortige Behandlung zum Schutz vor Infektionen.
Die Erkrankung ist seit 1950 bekannt. Vor der Einführung moderner Behandlungsmethoden wie der Stammzelltransplantation starben die meisten Kinder mit SCID noch während des ersten Lebensjahres an einer Infektion. Heute ist die Medizin einen großen Schritt weiter: Es ist gelungen, das Risiko lebensbedrohlicher Infektionen zu verringern und in der Mehrzahl der Fälle ist sogar eine heilende Behandlung des SCID möglich. Seit August 2019 steht ein Neugeborenen-Screening für diese Erkrankung zur Verfügung, so dass die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen und Therapiemaßnahmen für betroffene Kinder bereits wenige Tage nach Geburt zur Verfügung stehen.
Der schwere kombinierte Immundefekt ist eine angeborene Erkrankung und wird durch einen Fehler in der kindlichen Erbinformation (DNA) verursacht. Das bedeutet, dass die Anlage zur Erkrankung bereits vor der Geburt besteht. In den meisten Fällen wird der genetische Fehler von den Eltern an das Kind weitergegeben.
Jeder Mensch trägt eine sehr große Menge an Erbinformation in sich, die er und sein Partner dann zu gleichen Teilen an seine Nachkommen weitergeben. Bis auf die DNA-Abschnitte, die auch das Geschlecht bestimmen, liegt jede Erbinformation in doppelter Ausführung vor. Dabei hat auch jeder Mensch einige Gene in seinem Erbgut, die kleine Veränderungen enthalten. In der Regel führen diese Veränderungen aber nicht zu gesundheitlichen Folgen, da sie durch das gesunde zweite Gen ausgeglichen werden können. Bei Genen, die auf dem geschlechtsbestimmenden X-Chromosom liegen (das bei Jungen nur in einer Kopie, bei Mädchen in zwei Kopien vorliegt), kann eine fehlerhafte Kopie bei Jungen nicht ausgeglichen werden.
Jedes Gen in unserem Erbgut enthält den Bauplan für ein Protein, das bestimmte Funktionen in unserem Körper wahrnimmt. Einige Gene sind für die normale Entwicklung des Immunsystems nötig. Hier kann ein Defekt dazu führen, dass das von diesem Gen abgelesene Protein fehlerhaft oder gar nicht gebildet wird, was dann zu einer gestörten Entwicklung des Immunsystems führt.
Beim SCID ist vor allem die Entwicklung von sogenannten T-Zellen gestört. Dies kann daran liegen, dass Proteine fehlen, die Wachstumssignale an T-Zellen vermitteln oder daran, dass Proteine fehlen, die für die Entwicklung der Thymusdrüse notwendig sind. Ohne Thymus kann keine T-Zell Entwicklung stattfinden. T-Zellen sind entscheidend für die Abwehr von Virus- und Pilzinfektionen. Darüber hinaus helfen sie den B-Zellen, Antikörper zu bilden und damit Infektionen mit Bakterien abzuwehren. Schließlich spielen sie auch noch eine Rolle in der Steuerung von Immunantworten. Wenn diese Schlüsselzellen des Immunsystems sich nicht entwickeln können oder nicht funktionieren, kommt es zu einer Störung all dieser Vorgänge, zu einem „kombinierten“ Immundefekt.
Es gibt mindestens 20 verschiedene Gene, die die Entwicklung und Aktivierung von T-Zellen steuern. Daher gibt es auch entsprechend viele Unterformen der SCID-Erkrankung. Allen gemeinsam ist die Störung von T-Zellen und die daraus folgende Anfälligkeit gegen alle Arten von Infektionskrankheiten. Die einzelnen SCID-Formen werden nach den zugrundeliegenden Gendefekten benannt und klassifiziert.
In den meisten Fällen kommen die Kinder mit einer SCID-Erkrankung zunächst „gesund“ zur Welt und entwickeln sich in den ersten Lebenswochen ganz normal. Das kommt daher, dass sich die Erkrankung erst nach Kontakt mit Infektionserregern zeigt und die Kinder in den ersten Lebensmonaten zumindest teilweise durch mütterliche Antikörper geschützt sind, die im Mutterleib über die Nabelschnur an das Kind weitergegeben wurden.
Vor Einführung des Neugeborenen-Screenings auf schweren T-Zell Mangel blieben betroffene Kinder daher zunächst unerkannt.
Bei diesen erst einmal unauffälligen Kindern treten typischerweise erste Probleme zwischen dem 3. und 6. Lebensmonat auf. Die mütterlichen Antikörper sind verbraucht und das kindliche Immunsystem kann nicht richtig arbeiten. Dies führt dazu, dass das Kind anfällig für Infektionen wird. Im Vergleich zu anderen Kindern wird es häufiger krank, Infekte verlaufen schwerwiegender und es braucht länger, um sich zu erholen. Oft sind wiederholte und längere Behandlungen mit Antibiotika nötig. „Normale“ Keime, die Menschen mit gesundem Abwehrsystem nicht gefährden, können bei Kindern mit SCID zu schweren Infektionen führen. Darüber hinaus treten Infektionen mit Keimen auf, die sonst nur sehr selten Erkrankungen auslösen. So können Erreger wie Pneumocystis jirovecii, Aspergillus, Cytomegalieviren oder Cryptosproridien bei Kindern mit SCID zu schweren Lebererkrankungen, Lungenentzündungen und schweren Durchfällen führen. Kinderkrankheiten wie Windpocken, Röteln oder Herpes-Infektionen oder sonst unkomplizierte Pilzerkrankungen (Windelsoor), verlaufen bei Kindern mit SCID lebensbedrohlich.
Als Konsequenz nehmen die Kinder nicht richtig an Gewicht zu. Viele leiden an chronischen Durchfällen, zum Teil auch ohne erkennbare Infektion, was zu einer weiteren Beeinträchtigung des Gedeihens führt. Nicht selten werden Hautausschläge beobachtet, die manchmal auf einer Infektion beruhen, manchmal aber auch Ausdruck einer fehlgesteuerten Immunantwort sind. Gelegentlich sind Hautausschlag, Leber- und Lungenerkrankung auch eine Folge der Übertragung mütterlicher Blutzellen, die gegen die kindlichen Organe reagieren. Die vorgeburtliche Übertragung mütterlicher Zellen ist bei gesunden Kindern ohne Folgen, da diese vom kindlichen Immunsystem zerstört werden. Bei Kindern mit SCID können solche mütterliche Zellen jedoch schwere Schäden anrichten.
Die gehäuft auftretenden, langwierigen und schweren Infektionen sind für SCID-Patienten lebensbedrohlich. Wenn nicht Maßnahmen ergriffen werden, um das fehlerhafte Immunsystem zu ersetzen, sterben viele Kinder innerhalb des ersten Lebensjahres.
Beim Neugeborenen-Screening auf schwere T-Zell Defekte wird in einem kleinen Blutstropfen, der in der ersten Lebenswoche abgenommen wird, untersucht, ob ausreichend T-Zellen vorhanden sind. Seit August 2019 wird bei jedem Neugeborenen diese Untersuchung durchgeführt. Wenn dieser Screening-Test auf einen T-Zell Mangel hinweist, wird mit einer erneuten Blutprobe ein Bestätigungstest durchgeführt, mit dem die Anzahl der T-Zellen präziser gemessen werden kann. Wenn auch diese Untersuchung den T-Zell Mangel bestätigt, kann die Diagnose SCID gestellt werden. Die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen können dann direkt eingeleitet und die notwendigen Schritte zur Therapie eingeleitet werden. In weiteren Untersuchungen wird dann die genaue genetische Ursache des T-Zell Mangels bestimmt, was für die weitere Behandlung und auch für die genetische Beratung der betroffenen Familie wichtig ist. Mit der Einführung des Neugeborenen-Screenings hat sich die Prognose für Kinder mit SCID deutlich verbessert.
SCID ist eine seltene Erkrankung. Sie tritt bei ungefähr 1 von 25.000 aller Neugeborenen auf.
Seit Einführung des Neugeborenen-Screenings wird der T-Zell Mangel innerhalb der ersten zwei Lebenswochen erkannt und die genaue Diagnose kann innerhalb von sechs bis acht Wochen gestellt werden.
Wenn ein schwerer T-Zell Mangel festgestellt wird, ist zunächst eine genaue Erhebung der Anamnese (Krankheitsgeschichte) unter Mitbeurteilung der Familiengeschichte (wie z.B. Blutsverwandtschaft, bekannter Immundefekt in der Familiengeschichte) sowie eine sorgfältige körperliche Untersuchung von Bedeutung.
Besondere Beachtung findet bei der körperlichen Untersuchung der Zustand der Haut (bei manchen Patienten finden sich Neurodermitis-ähnliche Hautausschläge), der Lunge, , der Leber und Milz (die beim SCID vergrößert sein können) sowie der Lymphknoten und Mandeln, die deutlich verkleinert, aber auch vergrößert sein können. Bei Kindern mit fehlendem Thymus liegen oft auch weitere Organfehlbildungen vor, z.B. am Herzen oder an den Ohren, so dass eine gründliche körperliche Untersuchung notwendig ist. Gewicht, Größe und Kopfumfang werden ermittelt, um festzustellen ob sich das Kind altersentsprechend entwickelt hat.
Für die genaue Einordnung des T-Zell Mangels sind mehrere Bluttests erforderlich. Die erste wichtige Labordiagnostik ist hierbei die sorgfältige Beurteilung des Blutbildes, insbesondere die Anzahl der Lymphozyten (eine Untergruppe der weißen Blutkörperchen) von großer Bedeutung ist. Darüber hinaus werden die Antikörperspiegel gemessen, die meist erniedrigt sind. Außerdem werden die verschiedenen Untergruppen der Lymphozyten gemessen (T-Zellen, B-Zellen und NK-Zellen). Bei manchen SCID-Formen sind nur die T-Zellen vermindert, bei anderen sind auch die B- oder NK-Zellen oder sogar alle drei Zellreihen vermindert. Wenn die T-Zellen nicht vollständig fehlen, wird auch die Funktion der verbleibenden T-Zellen im Reagenzglas untersucht. Das Muster der Störungen in den unterschiedlichen Zelltypen lässt dann Rückschlüsse auf die Art der SCID-Erkrankung zu. In seltenen Fällen können auch T-Zellen beim Kind vorhanden sein, die von der Mutter übertragen worden sind. Diese Zellen können jedoch meistens nicht sehr viel zur Infektabwehr beitragen und sind für das Kind unter Umständen sogar schädlich.
Neben den Blutuntersuchungen lässt sich mit Hilfe von bildgebenden Verfahren wie Röntgen und Ultraschalluntersuchung feststellen, ob der Thymus angelegt ist und eine normale Größe hat. Die Thymusdrüse ist bei fast allen SCID-Erkrankung deutlich zu klein, bei manchen Formen fehlt er vollständig.
In manchen Fällen kommt es vorgeburtlich oder in der Zeit bis das Ergebnis des Neugeborenen-Screenings vorliegt, bereits zu einer Infektion. Dann werden weitere Untersuchungen wie z.B. Urin-, Stuhluntersuchungen und evtl. auch eine Lungenspiegelung (Bronchoskopie) durchgeführt, um aktuelle Infektionen aufzudecken.
Sind spezielle Untersuchungen bei Ihrem Kind erforderlich, werden Sie ausführlich aufgeklärt und haben genügend Zeit, Fragen zu stellen.
In den meisten Fällen von Patienten mit schwerem T-Zell Mangel kann die Verdachtsdiagnose SCID im weiteren Verlauf durch einen Gentest gesichert werden. Diese Untersuchung dauert aber in der Regel mehrere Wochen, so dass mit der Entscheidung zur Behandlung nicht darauf gewartet werden kann.
SCID ist ein immunologischer Notfall und erfordert eine rasche Behandlung, die in einem darauf spezialisierten Zentrum durchgeführt werden sollte.
Auch wenn die Diagnose SCID bestätigt wird, sind Kinder mit schwerer T-Zell Lymphopenie in den ersten Wochen nach Geburt meistens nicht beeinträchtigt, so dass eine stationäre Versorgung nicht notwendig ist. Entscheidend ist, dass Ihr Kind vor Infektionen der Umgebung geschützt wird. Dieser Schutz ist ein Schwerpunkt des gesamten Behandlungskonzepts. Es wird sorgfältig mit Ihnen gemeinsam überlegt, wie in Ihrer Lebenssituation der beste Infektionsschutz für Ihr Kind vermittelt werden kann. Meist ist die häusliche Umgebung hier am besten geeignet. Wichtig ist das Einhalten von Hygienemaßnahmen, kein Kontakt zu Personen mit Infekten, auch zu Personen mit starkem Kontakt zu Infizierten (z.B. Geschwisterkinder in der KiTa oder im Kindergarten), und eine Einschränkung der Besucher. Es besteht auch ein Risiko, dass sich das Kind über die Muttermilch mit Viren infiziert, insbesondere mit dem CMV-Virus. Mütter von Kindern mit schwerem T-Zell Mangel werden daher – sofern nicht bereits in der Schwangerschaft erfolgt – auf CMV getestet und im Falle einer CMV-Positivität sollte das Kind nicht gestillt werden.
Aufgrund des schwachen Immunsystems benötigt das Kind eine vorbeugende Gabe von Medikamenten, um Infektionen abzuwehren. Eine vorbeugende Gabe von Antibiotika hilft, bakterielle Infektionen zu verhindern und auch Medikamente gegen Pilze werden vorsorglich eingesetzt. Diese Medikamente vermitteln einen gewissen Schutz, reichen aber nicht aus, um Infektionen vollständig zu verhindern.
Immunglobuline:
Kinder mit SCID können aufgrund der fehlerhaften Abwehrzellen nicht genügend oder nicht die richtigen Antikörper (Immunglobuline) bilden, um gegen Infektionen ankämpfen zu können. Das gilt auch für Patienten, die B-Zellen (die die Antikörper herstellen) besitzen, da diese ohne Hilfe von T-Zellen nicht ausreichend Antikörper herstellen können. Daher müssen diese Antikörper in Form einer Infusion ersetzt werden. Es ist möglich, die Antikörper über die Vene oder (bei längerfristiger Behandlung) auch subkutan in das Unterhautfettgewebe zu geben.
PEG ADA:
Eine bestimmte Form der SCID-Erkrankung wird durch das Fehlen von ADA (Adenosindesaminase), ein Eiweiß, verursacht. Fehlt dieses Enzym, kommt es zu einem giftigen Stoffwechselprodukt, was dann wiederum zur Schädigung von Lymphozyten führt. Durch den Ersatz des fehlenden Enzyms mit Hilfe von Injektionen (PEG-ADA) kann dieser Prozess gestoppt werden und das Immunsystem kann sich erholen. In der Regel wird diese Behandlung nur vorübergehend eingesetzt, da sie nicht ganz so gute Ergebnisse erzielen kann wie die Knochenmarkstransplantation. Bei anderen SCID-Formen ist diese Enzymersatztherapie wirkungslos.
Knochenmarktransplantation:
Die Stammzelltransplantation (SZT) ist derzeit die einzige heilende Therapieoption für Kinder mit SCID, solange die Thymusdrüse angelegt ist. Das Ziel dieser Therapie ist es, das kranke Abwehrsystem (Immunsystem) durch das Immunsystems eines gesunden Spenders zu ersetzen. Gesundes Knochenmark ist reich an Stammzellen. Stammzellen sind Zellen, die in ihrer späteren Funktion im Organismus noch nicht festgelegt sind. Dadurch haben Stammzellen die Fähigkeit, sich zu verschiedenen Zelltypen zu entwickeln, unter anderem zu Zellen des Immunsystems. Wird ein passender gesunder Spender gefunden, ist es möglich, dem betroffenen Kind gesundes Knochenmark mittels einer Infusion zu übertragen. Die Knochenmarkstransplantation ist keine Transplantation, wie man sie von anderen Organen her kennt, sondern die im Knochenmark enthaltenen Stammzellen können einfach über eine Vene gespritzt werden. Über das Blut finden sie allein ihren Weg in das Knochenmark und beginnen dann dort, gesunde Blutzellen zu bilden.
Eine SZT birgt aber auch viele Risiken und es kann zu Komplikationen kommen. Meist sind die Komplikationen gut behandelbar, manche können aber auch einen lebensbedrohlichen Verlauf nehmen.
Bevor es zu einer Therapieentscheidung kommt, wird ein Team von Spezialisten (Immunologen, Hämatologen) die genaue Vorgehensweise, Risiken und Nutzen genau mit Ihnen besprechen und Ihnen genug Zeit gegeben, Fragen zu stellen und Unsicherheiten zu klären.
Um die SZT durchführen zu können, ist es wichtig, einen geeigneten Spender zu finden. Daher wird bei Eltern und Geschwistern (manchmal auch bei weiteren Familienangehörigen) Blut abgenommen, um die Merkmale bestimmen zu können, die bei einer Transplantation übereinstimmen müssen. Wird innerhalb der Familie ein zu dem betroffenen Kind passender Spender gefunden (meist ein gesundes Geschwisterkind), so kommt diese Person als Spender in Frage. Ist innerhalb der Familie kein geeigneter Spender zu finden, wird eine weltweite Suche nach einem geeigneten Spender über ein Register veranlasst. Hiermit besteht heute eine sehr gute Chance, für die meisten Patienten einen Spender zu finden.
Ist ein geeigneter Spender gefunden, so beginnt die Therapievorbereitung für die SZT. In der Regel ist es notwendig, vor der SZT eine Chemotherapie durchzuführen, um das kindliche Immunsystem „herunter zu regulieren“ und damit das Risiko einer Abstoßung der transplantierten Stammzellen zu verringern. Wird ein sehr gut passender Spender innerhalb der Familie gefunden, ist bei SCID eine vorhergehende Chemotherapie nicht immer erforderlich. Auch über die Risiken und Nebenwirkungen der Chemotherapie wird das Team der Knochenmarkstransplantation ausführlich mit Ihnen sprechen.
Gentherapie:
Eine neue Therapieform, die derzeit für einige SCID-Formen in Erprobung und bei der ADA-Defizienz bereits zugelassen ist, ist die Gentherapie. Hierbei werden dem erkrankten Kind Stammzellen entnommen, im Reagenzglas wird ihnen das defekte Gen in gesunder Form eingefügt und dann werden sie dem Kind wieder zurückgegeben. Diese Behandlung hat den Vorteil, dass das Kind seine eigenen Zellen und nicht fremde Zellen bekommt. Damit sind die Risiken einer Abstoßung oder Unverträglichkeit deutlich geringer. Andererseits ist das Einschleusen eines neuen Gens in Stammzellen ein Vorgang, der eigene Risiken birgt. Der Eingriff hat in den ersten Versuchen vor 20 Jahren dazu geführt, dass die veränderten Zellen ihre Eigenschaften geändert haben und auch entartet sind (Blutkrebs ausgelöst haben). Inzwischen sind die Verfahren der Gen-Einschleusung aber deutlich sicherer geworden. Weltweit sind inzwischen weit über 100 Patienten mit der Gentherapie behandelt worden. Die meisten Behandlungen waren erfolgreich, so dass hiermit in Zukunft für manche SCID-Erkrankungen eine echte Alternative zur SZT besteht, insbesondere wenn kein passender Spender gefunden wird.
Thymustransplantation:
Bei Patienten, die gar keinen Thymus besitzen, ist die SZT wirkungslos, weil sich die übertragenen Stammzellen ohne Thymus nicht in T-Zellen entwickeln können. Für diese Patienten steht die Thymustransplantation zur Verfügung. Derzeit wird dieses Verfahren in Europa nur in London angeboten, es wurden aber bereits mehrere Kinder aus Deutschland erfolgreich dort behandelt.
Nach erfolgreicher Transplantation von Stammzellen oder Thymus dauert es etwa drei Monate, bis sich aus den Stammzellen frische T-Zellen entwickeln und im Blut nachweisbar sind. Bei manchen SCID-Formen gelingt es nicht so gut, neben der T-Zell auch eine vollständige B-Zell Immunität aufzubauen, so dass auch nach der Transplantation lebenslang eine Behandlung mit Immunglobulinen notwendig ist. Viele SCID-Patienten können aber nach erfolgreicher Transplantation ohne Medikamente oder besondere Vorsichtsmaßnahmen ein normales Leben führen.
Jeder Mensch besitzt von jedem Gen zwei Stück, eines vom Vater und eines von der Mutter. Für die meisten Erbkrankheiten ist es für den Ausbruch der Erkrankung nötig, dass beide Gene fehlerhaft sind, da ein gesundes Gen in der Regel ausreicht, genügend gesunde Proteine herstellen zu können. Bei der SCID-Erkrankung können jedoch verschiedene Vererbungsgänge die Ursache sein.
Bei der autosomal-rezessiv vererbten Form des SCID sind beide Elternteile klinisch gesunde Träger des defekten Gens. Dies bedeutet, dass beide neben dem krankmachenden auch ein gesundes Gen haben, das ausreicht, sie vor der Erkrankung zu schützen. Für die Nachkommen entsteht dadurch eine Erkrankungswahrscheinlichkeit von 25 Prozent. Die Hälfte der Kinder werden wie ihre Eltern klinisch gesunde Genträger und können das Gen an ihre Kinder weitervererben. Ein Viertel der Kinder erbt zwei gesunde Gene und ist ganz gesund. Die Vererbung ist hier geschlechtsunabhängig, d.h. sowohl Jungen als auch Mädchen können davon betroffen sein.
Ein anderer Vererbungsweg liegt bei dem X-chromosomalen, d.h. geschlechtsgebundenen Vererbungsgang vor. Hier liegt das betreffende Gen auf dem geschlechtsbestimmenden X-Chromosom. Die Krankheit wird bei diesem Erbgang in der Regel durch die Mütter übertragen. Sie sind jedoch klinisch gesund, da sie das kranke X-Chromosom durch ihr zweites, gesundes X-Chromosom ausgleichen können. Söhne betroffener Mütter können nun entweder das kranke oder das gesunde X-Chromosom erben. Männer besitzen nur ein X-Chromosom, so dass ein Sohn der das kranke X-Chromosom erbt nicht in der Lage ist, den Fehler auszugleichen. Dies bedeutet, dass von einer Mutter mit einem fehlerhaften Gen die Hälfte aller Söhne an SCID erkrankt, die andere Hälfte aber gesund ist. Alle Töchter sind gesund, aber die Hälfte aller Töchter erbt ein krankes Gen und kann daher wiederum die Erkrankung an die Hälfte ihrer Söhne weitergeben. In manchen Fällen hat die Mutter eines betroffenen Sohnes auch zwei gesunde Gene; dann hat sich der genetische Fehler bei der Entwicklung des Kindes ergeben und weitere Kinder dieser Mutter sind nicht betroffen.
In jedem Fall sollte bei Diagnose eines SCID eine genetische Untersuchung und Beratung der erweiterten Familie erfolgen, um das Risiko eines erneuten Erkrankungsfalls einschätzen und entsprechend beraten zu können.
Ja. In den Fällen von SCID, bei denen der genetische Defekt identifiziert wird, kann untersucht werden, ob die Eltern Träger der gleichen Mutation sind und ob die Gefahr besteht, die Krankheit auf weitere Kinder zu übertragen. Allen Familien sollte eine solche Analyse und genetische Beratung angeboten werden. Bei weiteren Schwangerschaften ist grundsätzlich eine pränatale Diagnostik möglich, um zu sehen, ob der Fötus von dem in dieser Familie identifizierten Gendefekt betroffen ist oder nicht. Auf jeden Fall aber sollte jedes weitere Neugeborene unmittelbar nach Geburt auf das Vorliegen der Erkrankung untersucht werden.
Ihr Kind braucht wie jedes andere Kind all Ihre Liebe und Aufmerksamkeit. Es werden wiederholte Krankenhausaufenthalte erforderlich sein, was auch immer wieder eine Trennung von den Verwandten und dem Rest der Familie bedeutet. Wiederholte Bluttests und weiterführende Untersuchungen führen nicht selten zu Stress, Angst und Schuldgefühlen.
Durch die Erkrankung des Kindes kommen viele Eltern an die Grenzen ihrer Kraft und Belastbarkeit. Während der ganzen Krankheitsphase wird das gesamte behandelnde Team Ihnen beistehen und versuchen Ihnen dabei zu helfen, einen guten Weg durch diese schwierige Zeit zu finden.
Geschwisterkinder können sich in der Zeit, in der das betroffene Kind Ihre gesamte Aufmerksamkeit fordert, vernachlässigt fühlen. Häufig ist es hier gut z.B. andere Familienangehörige oder gute Freunde mit in die Betreuung einzubinden, so dass sie beruhigt auch mal eine „Auszeit“ nehmen können in dem guten Wissen, dass das kranke Kind nicht alleine ist.
Ebenfalls benötigen Sie auch Zeit und Energie für die Partnerschaft. In so einer schwierigen Phase fühlen sich die meisten Partner eng verbunden, teilen Entscheidungen und helfen sich gegenseitig bei den überwältigenden Gefühlen, mit denen sie konfrontiert werden. Manchmal wird es dennoch schwierig, mit den vielen Anforderungen umzugehen. In dieser Zeit ist es vielleicht gut zu wissen, dass es auch hier Möglichkeiten der Hilfe gibt, z.B. durch die Unterstützung von Selbsthilfegruppen oder beim Sozialen Dienst. Auch die besten Beziehungen werden während so einer Phase auf den Prüfstand gestellt, daher scheuen Sie sich nicht, nach Unterstützung und professioneller Hilfe zu fragen.
Ein Teil unseres Behandlungsteams sind Psychologen und Sozialdienstmitarbeiter, die ihnen bei verschiedenen Fragen und Problemen helfen können oder Sie über weitere Unterstützungsmöglichkeiten informieren.
Stand
Januar 2022
Hinweis
Wir möchten mit unseren Patientenbroschüren gerne dazu beitragen, dass betroffene Patienten, Eltern und ihr Umfeld die Erkrankung und ihre Behandlung besser verstehen. Die Broschüren sind sorgfältig erstellt und beschreiben die Erkrankung und deren Behandlung. Auch wenn Sie viele Informationen in den Broschüren finden, können diese vorliegenden Informationen keinen Arztbesuch ersetzen.
Autor
Henrike Ritterbusch
+49 (0)761 270-45240
henrike.ritterbusch@uniklinik-freiburg.de
Wissenschaftliche Begleitung
Prof. Dr. Stephan Ehl
+49 (0)761 270-77300
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UNIVERSITÄTSKLINIKUM FREIBURG
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