

also den Zellkern als Schaltzentrale
in den Fokus nehmen.“
Heins Team hat nun die epigene-
tischen Programme entziffert, die in
den verschiedenen Entwicklungs-
und Reifestadien des Herzens ablau-
fen. Auch wenn eine Herzschwäche
durch chronische Druckbelastung
des Organs entsteht, wird ein cha-
rakteristisches Genprogramm ge-
schaltet.
ENTSCHLÜSSE LTE BASENPAARE
UND MARKER
Um an die epigenetischen
Schaltstellen heranzukom-
men, musste die Gruppe
erst einmal Herzmus-
kelzellen aus den mehr
als zehn verschiedenen
Zelltypen des Herzens
isolieren und eine Me-
thode entwickeln, um
die Zellkerne zu reini-
gen. Aus nur Milligramm schweren
Gewebeproben hat das Team meh-
rere Hunderttausend Herzmuskel-
zellkerne gewonnen. Mit modernen
Sequenziergeräten konnte es dann
die drei Milliarden Basenpaare des
Genoms und ihre epigenetischen
Marker komplett entschlüsseln.
Diese wichtige Etappe erreichte
Hein nach knapp fünfjähriger For-
schungsarbeit. Weitere fünf Jahre
werden vergehen, schätzt der
Wissenschaftler, bis die ge-
wonnenen Erkenntnisse
eventuell in
n e u e
Diagnose- oder Therapiemöglich-
keiten für Herzkranke münden. „Ob
es sich am Ende um Methoden der
Gentherapie oder um neue Arznei-
stoffe handeln wird, wissen wir
heute noch nicht.“
Herzerkrankung: Diese Diagnose hö-
ren jedes Jahr Tausende vonMenschen.
Zwar kann die Medizin das Leben die-
ser Patientinnen und Patienten mit
hochwirksamen Arzneimitteln erheb-
lich verlängern und erleichtern, doch
ein schwer geschädigtes Herz repa-
rieren kann sie nicht. Jedenfalls heute
noch nicht.
Der Freiburger Arzt und Pharma-
kologe Professor Dr. Lutz Hein ar-
beitet daran, dass sich das ändert.
Ihm und seinem rund 20-köpfigen
Forschungsteam ist ein Durchbruch
gelungen: Erstmals haben die Wis-
senschaftler die epigenetischen
Schalter in Herzmuskelzellen ent-
schlüsselt, die an der Steuerung und
Entwicklung des Herzens beteiligt
sind und sich während einer Herzer-
krankung verändern. Das Freiburger
Team konnte das gesamte Erbgut
dieser Zellen und deren epigeneti-
sche Marker entziffern. Diese Mar-
ker schalten je nach Entwicklungs-
stadium bestimmte Abschnitte der
Erbinformation an oder ab. Außer-
dem reagieren sie auf krankhafte
Veränderungen. Bei den Markern
handelt es sich um Histone, winzige
Spulen aus Protein, auf die die DNA,
das lange Erbgut-Molekül, teilweise
aufgewickelt ist.
GEÄNDERTE AGENDA ERFOR-
SCHEN
„Wennwir verstehen,was Erkran-
kungen in diesen Schaltzentralen
bewirken, können wir eines Tages
vielleicht auch neue Schlüsselme-
chanismen für die Therapie finden“,
erklärt Hein, der die Abteilung II des
Instituts für Experimentelle und
Klinische Pharmakologie und Toxi-
kologie der Albert-Ludwigs-Univer-
sität Freiburg leitet. Das Herz werde
als erstes Organ im Embryo gebildet
und mache im
Laufe
seines
Wa c h s t u m s
und seiner Reifung vor und nach der
Geburt mehrere Entwicklungssta-
dien durch. Dafür müssten je nach
Anforderung verschiedene Gene aus
der gesamten Erbgutmasse zu- oder
abgeschaltet werden. Bald nach der
Geburt verliere das Herz seine Fähig-
keit zur Zellteilung. Von da an könne
es beschädigte Zellen nicht mehr er-
setzen – anders als beispielsweise die
Leber oder die Haut, die laufend neue
Zellen bilden und sich damit selbst
„reparieren“ können. Auch mit Zu-
satzbelastungen, etwa durch Sport
oder Erkrankungen, müsse das Herz
im Lauf des Lebens immer wieder
fertigwerden, ohne je aufzuhören,
zu schlagen und den Blutkreislauf in
Gang zu halten. „Das geht nicht ohne
Änderung der Agenda. Wir mussten
SCHLÜSSEL ZUM HERZ
HERZSCHWÄCHE-THERAPIEN
KÖNNTEN IN ZUKUNFT DIREKT
IM ZELLKERN ANSETZEN
Basenpaare und deren epigenetische Marker hat
Lutz Heins Team entschlüsselt
3 000 000 000
Etwa fünf Jahre wird es dauern,
bis seine Erkenntnisse eventuell
zu neuen Diagnose- oder Therapie-
möglichkeiten für Herzkranke
führen, schätzt Lutz Hein
Die DNA ist auf winzige Spulen aus Protein aufge-
wickelt, die als Schaltzentralen für die Entwicklung
und Steuerung des Herzens fungieren
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