

E IN GANZES LEBEN
IM BLICK
Kinder mit angeborenen Herzfehlern
stellen Herzspezialisten vor besonde-
re Herausforderungen: Oft müssen
sie schon vor der Geburt die optima-
le Behandlung für ein ganzes Leben
planen. Professor Dr. Brigitte Stiller,
Ärztliche Direktorin der Klinik für an-
geborene Herzfehler und Pädiatrische
Kardiologie des Universitäts-Herzzen-
trums Freiburg ∙ Bad Krozingen (UHZ),
erklärt, worauf es bei der Behandlung
der kleinsten Herzpatienten ankommt.
Frau Professor Stiller, wie unterschei-
det sich die kardiologische Behandlung
von Kindern und Jugendlichen von der
Erwachsenen-Kardiologie?
Viele unserer Patienten lernen
wir schon vor ihrer Geburt kennen.
Bei der Hälfte aller Neugeborenen
mit Herzfehler wird dieser bereits
im Mutterleib festgestellt. Dann be-
ginnt sofort die Planung, wie wir
nach der Geburt die akuten Sym-
ptome behandeln – aber auch, wie
wir unseren Patienten langfristig
ein weitgehend normales Leben in-
klusive Sport, Klassenfahrten und
Berufswahl ermöglichen können.
Die größte Herausforderung liegt
darin, dass Herz und Gefäße bei
Kindern noch wachsen. Auch wenn
wir natürlich technisch hervorra-
gendes Material verwenden, wissen
wir genau, dass wir es nach weni-
gen Jahren ersetzen müssen, weil
unsere Patienten aus ihren Stents
und künstlichen Herzklappen her-
auswachsen. Wir müssen diese also
rechtzeitig nachdehnen oder austau-
schen, bevor sie zu klein werden und
Probleme verursachen.
Worauf achten Sie besonders bei der
Planung der Behandlung?
Wir versuchen, die Anzahl der
Eingriffe möglichst gering zu hal-
ten. Manche unserer Patienten ha-
ben nach der Grundschule schon
fünf oder sechs Operationen hinter
sich, und die inneren Narben und
Verwachsungen machen jede neue
Operation riskanter. Heute können
wir viele der früher üblichen Ope-
rationen durch weniger belastende
Kathetereingriffe ersetzen: Blutver-
lust, Infektionsgefahr und Narben-
bildung sind geringer,
und die Patienten kön-
nen meist nach zwei
bis drei Tagen die Kli-
nik verlassen.
Welche Herzfehler behandeln Sie per
Katheter?
Über einen kleinen Zugang in der
Leistenvene oder -arterie weiten
wir verengte Blutgefäße und setzen
Stents genannte Röhrchen aus Me-
tallgeflecht als Gefäßstützen ein.
Auch Löcher in der Vorhofwand, die
noch vor 20 Jahren standardmäßig
operiert wurden, können wir heute
in 70 bis 80 Prozent aller Fälle per
Katheter mit einem Schirmchen
verschließen, das wie eine körperei-
gene Membran einwächst. Eine tolle
Entwicklung ist auch die katheter-
gestützte Pulmonalklappen-Inter-
vention: Ab einem Körpergewicht
von 15 bis 20 Kilogramm können
wir die Klappe am Eingang der Lun-
genschlagader per Katheter erset-
zen. Dieses Verfahren wurde 2000
entwickelt und stand Pate für den
TAVI-Eingriff (siehe Seite 16), der
vor allem älteren Menschen einen
schonenden Ersatz der Aortenklappe
ermöglicht.
Wo sehen Sie derzeit das größte
Entwicklungspotential in der Kinder-
kardiologie?
Aktuell leiten wir von Freiburg
aus eine gemeinsame Studie mit fünf
weiteren Herzzentren. Wir erproben
sogenannte Baby-Stents, die eine
Lücke in der Versorgung von Säug-
lingen schließen sollen: Bei Kindern
unter einem Jahr können wir die üb-
lichen großen Stents, die sich bis in
das Erwachsenenalter nachdehnen
lassen, nicht einsetzen, da sie nicht
durch die kleinen Adern passen. Die
Baby-Stents lassen sich so klein zu-
sammenfalten, dass sie sogar bei
Neugeborenen eingebracht werden
können. Außerdem haben sie Soll-
bruchstellen, an denen sie in einem
zweiten Eingriff weiter aufgedehnt
und letztlich eröffnet werden kön-
nen, wenn das Blutgefäß wächst.
Das ist sicherer und schonender, als
den Stent komplett auszutauschen.
Ist ein Kathetereingriff
im Vergleich zur Opera-
tion immer die bessere
Wahl?
Welche Behandlun-
gen in welcher Reihen-
folge ideal sind, lässt
sich bei der großen
Bandbreite an Herzfeh-
lern, mit denen wir es
zu tun haben, nur im
Einzelfall entscheiden.
Oberstes Ziel ist immer,
unseren Patienten mit
möglichst wenigen Eingriffen ein
möglichst unbeschwertes Leben zu
ermöglichen. Daher gilt: Die optima-
le Mischung macht‘s – zum Beispiel,
wenn wir mit Kathetereingriffen
die Zeit überbrücken, bis der Patient
groß genug für eine wichtige Opera-
tion ist.
Wie eng arbeiten Sie mit Ihren
Kollegen aus der Kinderherzchirurgie
zusammen?
Wir sprechen täglich mehrfach
mit unseren Kinderherzchirurgen
und haben zusätzlich jeden Donners-
tag eine interdisziplinäre Konferenz,
bei der neben Kinderkardiologen
und Kinderherzchirurgen auch die
Vertreter der Erwachsenen-Kardio-
logie und -Herzchirurgie dabei sind,
um über unsere aktuellen Patien-
ten mit angeborenem Herzfehler im
Kindes- und Erwachsenenalter zu
beraten. Diese Zusammenarbeit hat
eine lange Tradition: So wurde die
Herz-Lungen-Maschine erstmals bei
der Operation eines Mädchens mit
Vorhof-Septumdefekt erfolgreich
eingesetzt. Nicht zuletzt dank sol-
cher Innovationen ist die Sterblich-
keitsrate herzkranker Kinder in den
vergangenen 30 Jahren um 80 Pro-
zent gesunken.
KINDERKARDIOLOGIE
Kathetereingriffe bei angeborenen
Herzfehlern werden pro Jahr im UHZ
vorgenommen
Kinder werden jährlich im UHZ
am Herz operiert
250 +
200 +
PROFESSOR DR . BR IGITTE STI LLER
ist Kinderkardiologin und pädiatrische Intensivme-
dizinerin mit persönlicher Zusatzqualifikation für
Erwachsene mit angeborenem Herzfehler (EMAH,
siehe Seite 20). Sie wurde 2008 auf einen Lehrstuhl
für Kinderheilkunde am Universitätsklinikum Frei-
burg berufen und leitet als Ärztliche Direktorin die
Klinik für angeborene Herzfehler und Pädiatrische
Kardiologie am UHZ.
„Oberstes Ziel ist immer,
unseren Patienten mit möglichst
wenigen Eingriffen ein möglichst
unbeschwertes Leben zu
ermöglichen“
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