

SELTENEN
MUTATIONEN AUF
DER SPUR
Als eines von 17 Tumorboards am Uni-
versitätsklinikum Freiburg konzentriert
sich das Molekulare Tumorboard auf
einzelne Enzyme und zelluläre Signal-
wege, die für den Therapieerfolg ent-
scheidend sein können
Es ist Mittwochmorgen, 7.30 Uhr,
der kleine Besprechungsraum ist
gefüllt. Wie jede zweite Woche trifft
sich das Molekulare Tumorboard am
Universitätsklinikum Freiburg. Die
Mediziner und Naturwissenschaft-
ler um Professor Dr. Nikolas von
Bubnoff, Oberarzt in der Klinik für
Innere Medizin I, und Professor Dr.
Silke Laßmann vom Institut für Kli-
nische Pathologie besprechen neue
Diagnose- und Therapieverfahren
für Krebspatienten, bei denen die
Behandlung nicht anschlägt. „Wir
wollen verstehen, wie die jeweilige
Tumorerkrankung molekular tickt,
also welche Signalwege aktiviert
sind und therapeutisch blockiert wer-
den könnten“, erklärt von Bubnoff.
Der erste Patient wird vorgestellt:
Er leidet unter einem gastrointesti-
nalen Stromatumor (GIST), einer sel-
tenen Krebsart im Verdauungstrakt.
Für eine Operation ist der Tumor zu
groß; medikamentöse Therapien
blieben erfolglos. Das Kernteam des
Molekularen Tumorboards hat die
Krankengeschichte in den vergan-
genen Tagen gründlich betrachtet,
sie mit ähnlichen Fällen verglichen,
molekulare Analysen durchgeführt
und entsprechende Literatur recher-
chiert. Die Mediziner und Naturwis-
senschaftler sind den Gründen für
die Resistenz gegen die bisherigen
Therapien auf der Spur.
Häufig ist diese genetisch be-
dingt. Bei dem GIST-Patienten
konnte eine Mutation der Phospho-
inositid-3-Kinase (PI3-Kinase) fest-
gestellt werden. „Das ist ein Enzym,
das eine wichtige Rolle bei der Sig-
nalvermittlung innerhalb der Zelle
undbeimZellwachstumspielt.Wenn
es mutiert ist, kann das zu Krebs füh-
ren“, erklärt Laßmann. Damit hat
das Team einen Ansatzpunkt für die
Therapie identifiziert und sucht nun
nach einem Medikament, das die
fehlerhafte PI3-Kinase hemmt. Hier
beginnt die schwierigste Aufgabe
für die Mediziner. Selten sind bereits
Medikamente auf dem Markt; mit
etwas Glück gibt es eine passende
klinische Studie, an der der Patient
teilnehmen kann. Oft ist aber beides
nicht verfügbar. Dann bespricht das
Team eine mögliche „Off-Label“-Be-
handlung mit einem Medikament,
das den richtigen Wirkstoff enthält,
aber nicht für die Erkrankung zuge-
lassen ist. In Einzelfällen kann auch
um die Vorab-Nutzung eines noch
nicht zugelassenen Medikaments
gebeten werden.
Im Fall des GIST-Patienten konn-
te das Team eine klinische Studie
recherchieren, die eine passende
Kombinationstherapie aus zwei Sub-
stanzen testet. Allerdings ist die
Studie bereits geschlossen. Deshalb
wurde beim Hersteller angefragt,
ob das Medikament vor der offiziel-
len Zulassung für den schwerkran-
ken Patienten angewendet werden
darf. Der Hersteller hat zwar nicht
der Kombinations-, aber einer Mono-
therapie mit einem der beiden Wirk-
stoffe zugestimmt. Das Molekulare
Tumorboard diskutiert den Behand-
lungsansatz
und
formuliert eine Empfehlung für das
organspezifischeTumorboardfürGas-
trointestinale Tumore, das bei dem
GIST-Patienten
um
Unterstützung gebe-
ten hatte. Es werden an
diesem
Morgen
noch
vier weitere sorgfältig
vorbereitete Fälle be-
sprochen. Nicht immer
kann eine konkrete Be-
handlung vorgeschla-
gen werden. Oft geht
es zunächst umweitere
Diagnoseansätze,
um
neue Therapieoptionen
oder darum, den Grund
für Therapieresistenzen
zu identifizieren.
Mit der molekula-
ren Betrachtung von
Krebserkrankungen
wird das Denken in
„Organ-Schubladen“
zunehmend aufgegeben.
„Es geht nicht mehr
nur um Brust-
oder Magenkrebs,
sondern um da-
h i n t e r l i e g e n d e
Merkmale,
die
anzeigen, ob be-
stimmte Therapien
überhaupt
wirk-
sam sein können“,
sagt von Bubnoff.
Damit verbunden
ist auch ein
Neudenken
von
klini-
schen Studien:
Die Medizin wird perso-
nalisierter, und bestimmte
Therapien helfen nur einer
begrenzten Anzahl an Pa-
tienten.
Demnach
sind
kleiner angelegte Studien
notwendig. „Wir sehen uns dabei als
Beratungsgremium für die organ-
spezifischen Tumorboards“, erklärt
Laßmann.
Gleichzeitig soll das recherchierte
Wissen auch zukünftig Verwendung
finden. Deshalb werden alle Unter-
lagen und Empfehlungen entspre-
chend den Krebserkrankungen und
molekularen Veränderungen doku-
mentiert. Entdeckt das Molekulare
Tumorboard erfolgreiche Therapien
für seltene Mutationen, führt es die
neuen Ansätze in klinische Studien
über, um sie künftig für weitere Pa-
tienten nutzbar zu machen.
MOLEKULARES
TUMORBOARD
„Wir wollen verstehen, wie
die jeweilige Tumorer-
krankung molekular tickt“
Mit der molekularen
Betrachtung wird das Denken in
„Organ-Schubladen“ zunehmend
aufgegeben
Tumorboards
gibt es insgesamt am
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