"Kein seelischer Schnupfen"
Psychosomatik(09.08.2021) Anhaltender Arbeitsstress ist ein Risikofaktor für Burn-out und Depressionen. Eine Patientenstudie der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg befasst sich ausführlich mit dem Thema.
Stress ist ein Risikofaktor und keine Diagnose. Das sagt Professor Dr. Claas Lahmann, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg. „Deshalb behandeln wir nicht Stress, sondern die daraus resultierenden psychischen und psychosomatischen Krankheiten.“ Es geht darum, Arbeitsstress vorzubeugen beziehungsweise den Stress herunterzuregulieren und Folgeerkrankungen wie Depressionen zu vermeiden. Die beiden Therapiebereiche Prävention und Intervention werden in der Klinik angeboten.
Stressbedingter Burn-out kann sich bei Nichtbehandlung zu einer schweren Depression entwickeln. @istock / nadia_bormotova
Professor Dr. Elisabeth Schramm ist Sektionsleiterin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Sie behandelt nicht nur, sondern forscht mit ihrer Arbeitsgruppe über arbeitsbedingten Stress. Bei Arbeitsstress können sich Probleme bei der Lebensbewältigung unterschiedlich zeigen. Zum Beispiel in emotionaler Erschöpfung, zunehmender Distanz zum eigenen Job und abnehmender beruflicher Leistungsfähigkeit.
Daraus kann sich ein stressbedingter Burn-out entwickeln, der bei Nichtbehandlung zu einer schweren Depression führen kann. Ein Burn-out gilt nicht als Erkrankung, sondern als Faktor, der die Gesundheit beeinträchtigen kann. „Er ist deshalb aber kein seelischer Schnupfen“, sagt Professor Schramm, sondern sei als mögliche Vorstufe einer Depression sehr ernst zu nehmen. Sie hat in einer Pilotstudie zu arbeitsbedingtem Stress und neuen Behandlungswegen mit interpersoneller Psychotherapie im Vergleich zur bislang üblichen Behandlung bei mittelschwerer bis schwerer Depression geforscht.
Die durch anhaltenden Arbeitsstress an Depressionen erkrankten Studienteilnehmer* innen waren zum Teil schon lange krankgeschrieben und eine Rückkehr an den alten Arbeitsplatz war für einige praktisch nicht mehr vorstellbar. Bei den Personen, die im Rahmen der Pilotstudie regelmäßig über acht Wochen in psychotherapeutischen Gruppensitzungen behandelt wurden, habe sich dann deutlich gezeigt, dass „die interpersonelle Gruppentherapie, welche auf Interaktionen am Arbeitsplatz fokussiert, einer Standardtherapie überlegen ist“, erläutert Schramm – und wie wichtig es ist, frühzeitig zu intervenieren, um Patient*innen wieder ins Arbeitsleben zu bringen. Vielleicht sogar an einen neuen Arbeitsplatz. In der nun geplanten Hauptstudie ist die Auswahl der Proband* innen auf Personen eingegrenzt, die maximal bis zu sechs Wochen krankgeschrieben sind.
Dass frühzeitige Hilfen für Arbeitnehmer*innen wichtig sind, bestätigt auch Lahmann. Arbeitsbedingter Stress könne jede(n) Arbeitnehmer*in in jedem Wirtschaftszweig und in Betrieben jeder Größe treffen. Die Grenzen von Burnout zu Depression sind dabei meist fließend. In der Therapie haben sich verschiedene Arbeitsstressmodelle bewährt. „Es ist wichtig, dass Patient*innen in einer Krise zum Beispiel wieder die eigene Kontrolle über ihre Arbeit erhalten“, sagt Lahmann. In einer finnischen Studie wurde herausgefunden, dass den Befragten soziale Wertschätzung wichtiger war, als der Rückenschutz, den sie tragen sollten. In einer sogenannten Gratifikationskrise wiederum geraten Arbeitnehmer*innen wie in einem Hamsterrad in eine gesteigerte Arbeitsaktivität und verausgaben sich bis hin zur verminderten Leistungsfähigkeit. „Auch ihnen ist es wichtiger, für ihre Arbeit wertgeschätzt zu werden, als mehr Geld zu verdienen“, erklärt Lahmann.
Aber schon bei ersten Anzeichen von Arbeitsstress ist Selbsthilfe möglich, macht Lahmann Betroffenen Hoffnung „Wer ausreichend schläft, regelmäßig isst und sich bewegt, ist weniger anfällig für Stress.“ Und er hat noch einen Rat: „Seien Sie Ihr eigener Arzt oder Ihre eigene Ärztin. Stellen Sie sich selbst ein Rezept aus, auf das Sie Tipps und Hilfen schreiben, an die Sie sich halten, um arbeitsbedingtem Stress vorzubeugen.“
So entsteht arbeitsbedingter Stress
In der Europäischen Union ist arbeitsbedingter Stress nach Rückenschmerzen das zweithäufigste arbeitsbedingte Gesundheitsproblem. Deshalb hat sich auch die EU-Kommission des Themas angenommen. Nach ihrer Definition kann arbeitsbedingter Stress durch psychische Belastungen wie hohe Arbeitsanforderungen, Informationsdefizite oder geringe Selbstbestimmung verursacht werden, ebenso durch psychosoziale Belastungen wie autoritäres Vorgesetztenverhalten, Streitigkeiten und Konflikte bis hin zu Mobbing oder Gewalt. Auch klassische Gefährdungsfaktoren wie Lärm, Zugluft oder Vibration können arbeitsbedingten Stress auslösen beziehungsweise verstärken.
Kontakt:
Department für Psychische Erkrankungen
Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Hauptstraße 8
79104 Freiburg
Anmeldung Ambulanz:
Montag - Freitag: 9.00-12.00 Uhr
Telefon: 0761 / 270 68410
psm-ambulanzanmeldung@uniklinik-freiburg.de
Weitere interessante Artikel
„Wir müssen Lehrer besser vor Burnout schützen“
Immer mehr Lehrkräfte fallen wegen psychosomatischer Beschwerden wie Burn-Out aus. Das belastet die Betroffenen und das gesamte Schulsystem. Der Freiburger Experte für Arbeitspsychosomatik Prof. Dr. Claas Lahmann fordert darum schnellere und unbürokratische Unterstützung für Lehrkräfte.
Universitätsklinikum Freiburg
Zentrale Information
Telefon: 0761 270-0
info@uniklinik-freiburg.de
Unternehmenskommunikation
Breisacher Straße 153
79110 Freiburg
Telefon: 0761 270-84830
kommunikation@uniklinik-freiburg.de