AG Kognitive Entwicklungspsychiatrie
Soziale Kognition, Theory of Mind und faziale EmotionserkennungEinführung
Forschungen zum Thema "Soziale Kognition" werden schon seit geraumer Zeit über die grundlagenwissenschaftlich orientierte Sozialpsychologie hinaus (Fiske & Taylor, 1991) im Bereich der kognitiven Neurowissenschaften rezipiert und interdisziplinär weitergeführt (s. Cacioppo & al., 2002). Auch im Rahmen psychiatrischer Erkrankungen und Störungen wurden Defizite im Bereich der sozialen Kognition beschrieben und bei einigen Störungsbildern (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, Autismus-Spektrum-Störungen, Essstörungen, …) in jüngster Zeit eingehender untersucht. Dabei lässt sich "Soziale Kognition" im weitesten Sinne folgendermaßen charakterisieren:
"Social cognition refers to the processes that subserve behavior in response to conspecifics (other individuals of the same species), and, in particular, to those higher cognitive processes subserving the extremely diverse and flexible social behaviours that are seen in primates." (Adolphs, 1999, p.469).
Als eine in diesem Zusammenhang wichtige Sub-Kategorie sozialer Kognition kann man auch Theory-of-Mind-Fähigkeiten und -fertigkeiten abgrenzen. Theory-of-Mind (ToM) bezeichnet dabei die Fähigkeit, sich selbst, aber auch anderen, mentale Zustände zuzuschreiben, diese mentalen Zustände zu erfassen und die damit verbundenen Informationen zu nutzen (Premack & Woodruff, 1978). Damit stellt diese Fähigkeit einen bedeutenden Anteil sozialer Fähigkeiten und Fertigkeiten dar, der wichtig ist, um Handlungen, Beweggründe und Emotionen v. a. von anderen Menschen im Alltag zu erkennen, für sich erklärbar zu machen und auf sie in sozialen Kontexten angemessen einzugehen. Im Bereich der psychologischen Forschungen zu tiefgreifenden Entwicklungsstörungen (ICD-10: F84.x) im Allgemeinen und Autismus-Spektrum-Störungen im Speziellen werden Einschränkungen der ToM-Fähigkeiten als ein wesentliches kognitives Kerndefizit diskutiert (Baron-Cohen, 2001, 2009; Baron-Cohen, Leslie, & Frith, 1985). Jedoch ist noch nicht endgültig geklärt, ob dieses Defizit spezifisch für Autismus-Spektrum-Störungen ist, in welchem Ausmaß es bei bestimmten Subtypen autistischer Störungen (Frühkindlicher Autismus [ICD-10: F84.0], Asperger-Syndrom [F84.5]) vorliegt, und in welchem Zusammenhang diese Fähigkeiten mit anderen kognitiven Faktoren, wie allgemeine kognitive Leistungsfähigkeit bzw. exekutive Funktionen, stehen. Bezüglich der Spezifität von Defiziten im Bereich der sozialen Kognition sind auch bei anderen kinder- und jugendpsychiatrischen Störungsbildern, wie der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (Da Fonseca, Seguier, Santos, Poinso, & Deruelle, 2009; Müller, 2007; Schaller, 2010; Strohmer, 2007; Uekermann & al., 2010), Defizite nachgewiesen worden. Eine weitere psychiatrische Störung, bei der Defizite in der Emotionsregulation und der sozialen Kognition postuliert und eingehender untersucht werden, ist die Gruppe der Essstörungen (Kessler, Schwarze, Filipic, Traue, & von Wietersheim, 200; Oldershaw, Hambrook Stahl, Tchanturia, Treasure, & Schmidt, 2010; Oldershaw, Hambrook, Tchanturia, Treasure, & Schmidt, 2010; Russell, Schmidt, Doherty, Young, & Tchanturia, 2009). Auffallend ähnliche neuropsychologische Profile geben aktuell Anlass zu Spekulationen, eine viel engere Beziehung zwischen Autismus-Spektrum-Störungen und Anorexia Nervosa anzunehmen als bisher vermutet (Oldershaw, Treasure, Hambrook, Tchanturia, & Schmidt, 2011). Oldershaw et al. (2011) fordern daher, dass weitere Studien durchgeführt werden müssen, in denen gleichzeitig an beiden Störungsbildern das Ausmaß sozialer Kognitionsdefizite erfasst werden soll.
Aus diesem Grund und zur weiteren Klärung der o.a. Fragen ist eine empirische Untersuchung zum Vergleich der Leistungen bei Aufgaben zur Sozialen Kognition / ToM-Aufgaben im Allgemeinen und zur emotionalen Gesichtserkennung im Speziellen (1) bei männlichen Jugendlichen mit einer hochfunktionalen Autismus-Spektrum-Störung im Vergleich zu (2) männlichen Jugendlichen mit typischer Entwicklung, und (3) bei weiblichen Jugendlichen mit einer Essstörung (ICD-10: F50.x), im Vergleich zu (4) weiblichen Jugendlichen mit einer typischen Entwicklung geplant. Die Einschränkungen bezüglich des biologischen Geschlechts ergeben sich durch die jeweiligen Prävalenzraten und dem Geschlechterverhältnis dieser Störungen: Das männlichen Geschlecht überwiegt bei Autismus-Spektrum-Störungen (ASD) und das weibliche bei Anorexia Nervosa (AN).
Ziele:
- Ermittlung des Ausmaßes sozialer Kognitionsdefizite / ToM-Defizite bei der Bearbeitung von Tests zur sozialen Kognition / ToM bei Jugendlichen mit ASD und Jugendlichen mit AN im Vergleich zu Jugendlichen mit typischer Entwicklung,
- Ermittlung des Ausmaßes kognitiver Verarbeitungsdefizite des emotionalen Gesichtsausdrucks bei Jugendlichen mit ASD und Jugendlichen mit AN im Vergleich zu Jugendlichen mit typischer Entwicklung,
- Ermittlung des Zusammenhangs mit wichtigen Moderatorvariablen, wie kognitive Leistungsfähigkeit, Schwere der Symptomatik, Aufmerksamkeitsproblemen und Arbeitsgedächtniskapazität.
- Zusätzlich kann durch die Erhebung einer männlichen und einer weiblichem Teilstichprobe mit jeweils typischer Entwicklung auch ein Gender-Effekt in der untersuchten Altersspanne überprüft werden.
Mitarbeiter
Gemeinsame Postanschrift:
Klinik KJPP
AG Kognitive Entwicklungspsychiatrie
[Name]
Hauptstr. 8
D-79104 Freiburg
Name | Funktion | |
Auch, Annika | cand. med. | Doktorandin |
Biscaldi-Schäfer, Monica | PD Dr. med. | Stv. Arbeitsgruppenleiterin, Komm. Leitende Oberärztin |
Fleischhaker, Christian | Prof. Dr. med. | Komm. Ärztlicher Direktor |
Klein, Christoph | Prof. Dr. rer.soc., Dipl.-Psych. | Leiter AG Neurophysiologie |
Klett, Lara | cand. med. | Doktorandin |
Mund, Sarah | cand. med. | Doktorandin |
Paschke-Müller, Mirjam | Dipl.-Psych. | Doktorandin / Wissenschaftliche Mitarbeiterin |
Rauh, Reinhold | Dr. phil., Dipl.-Psych. | Arbeitsgruppenleiter |
Schaller, Ulrich Max | Dipl.-Psych. | Doktorand / Wissenschaftlicher Mitarbeiter |
Speidel, Susan | B. Sc. | Wissenschaftliche Hilfskraft |
Werner, Stefanie | cand. med. | Doktorandin |
Zürn, Maren | cand. med. | Doktorandin |
Kooperationspartner
- Dr. Thomas Fangmeier, Sektion Experimentelle Neuropsychiatrie, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
- Volker Helzle, Leiter Forschung & Entwicklung, Institut für Animation, Visual Effects und digitale Postproduktion, Filmakademie Ludwigsburg
- Simon Spielmann, Mitarbeiter Forschung & Entwicklung, Institut für Animation, Visual Effects und digitale Postproduktion, Filmakademie Ludwigsburg
- Prof. Dr. Oliver Deussen, Computergrafik und Medieninformatik, Universität Konstanz
Ausgewählte Publikationen
2010 | Schaller, U. M. (2010). Die Perzeption fazialer Basisemotionen in realen und computergenerierten Gesichtern anhand dynamischer Stimuli: Eine Vergleichsstudie zwischen Kindern und Jugendlichen mit hochfunktionalen Autismus-Spektrum-Störungen, Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitäts-Syndrom und typischer Entwicklung. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. [UB FR] |
2009 | Rauh, R., & Schaller, U. M. (2009). Categorical Perception of Emotional Facial Expressions in Video Clips with Natural and Artificial Actors: A Pilot Study (Technical Report ALU-KJPP-2009-001). Freiburg, Germany: AG Kognitive Entwicklungspsychiatrie, Abt. Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. [PDF] |
2007 | Müller, M. (2007). Kognitive Verarbeitungsdefizite des emotionalen Ausdrucks beim High-Functioning-Autismus und Asperger-Syndrom: Der "Reading-the-Mind-in-the-Eyes-Test". Unveröffentlichte Diplomarbeit, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. [UB FR] Strohmer, J. (2007). Theory-of-Mind-Defizite bei Kindern und Jugendlichen mit autistischer Störung: Verarbeitung von "False-Belief"-Aufgaben bei High-Functioning Autismus und Asperger-Syndrom. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. [UB FR] |