Essstörungen bei Kindern: Ursachen und Umgang für Eltern
Kinder- und Jugendpsychiatrie(17.10.2024) Essstörungen wie Anorexie, Bulimie und Binge-Eeating sind komplexe Krankheiten, die von verschiedenen Faktoren beeinflusst werden. Eine Expertin erklärt, wie Eltern frühzeitig Anzeichen erkennen und angemessen reagieren können.
„Wenn man nach den Ursachen für eine Essstörung wie eine Anorexia nervosa, also einer Magersucht, fragt, ist es ganz wichtig zu wissen, dass es nicht die eine Ursache gibt“, sagt Dr. Madeleine Zimmermann, Oberärztin an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Freiburg. „Wir sprechen von einer multifaktoriellen Genese.“ Das heißt, an der Krankheitsentstehung sind immer mehrere Faktoren beteiligt. Früher wurde oft vermutet, es liege an der Familie. „Da haben sich die Eltern viele Vorwürfe gemacht oder anhören müssen, dass sie ursächlich schuld an der Essstörung sind.“
Für Essstörungen gibt es nicht die eine Erklärung. An Krankheiten wie Magersucht, Bulimie und Binge-Eating sind immer mehrere Faktoren beteiligt. ©freepik
Die Ursachen von Essstörungen
Heute weiß man: Sowohl genetische und stoffwechselbedingte (metabolische) als auch psychische und gesellschaftliche Faktoren spielen eine Rolle. „Wir sind dazu übergegangen, Magersucht als eine psychiatrisch-metabolische Störung zu verstehen, bei der Körper und Psyche eng miteinander verknüpft sind“, sagt Zimmermann. In Familien, in denen ein Elternteil oder ein Geschwisterkind bereits an einer Essstörung gelitten hat oder leidet, ist eine deutliche Häufung zu sehen. Verschiedene Hormone wie Leptin oder Insulin spielen ebenso eine wichtige Rolle. Daneben tragen gesellschaftliche Einflüsse wie soziale Medien und das vorherrschende Schlankheitsideal der westlichen Welt ebenfalls zur Entstehung von Essstörungen bei. „Das sind nicht zu unterschätzende Faktoren“, warnt die Expertin.
Magersucht ist die bekannteste Form der Essstörungen
Essstörungen wie Anorexia Nervosa (Magersucht) – sie ist die bekannteste Form der Essstörungen –, Bulimia nervosa (unkontrolliertes Essen mit anschließendem Erbrechen) sowie die Binge-Eating-Störung (wiederkehrende Essanfälle ohne Erbrechen) als häufigste Form der Essstörungen sind ein häufiges Phänomen bei Kindern und Jugendlichen. „Und wir sehen, dass die Kinder immer jünger werden. Aber es gibt gute Heilungsmöglichkeiten und Therapieformen“, sagt Zimmermann.
Erste Anzeichen erkennen
Für Eltern ist es entscheidend, frühzeitig aufmerksam zu sein. „Ein erstes Warnzeichen bei der Anorexia nervosa kann gerade am Anfang ein übermäßiges Interesse an der Beschäftigung mit Lebensmitteln, das Zubereiten von Essen und Kalorienzählen sein“, so Zimmermann. „Auch exzessives Sporttreiben oder häufige Gymnastikübungen im Zimmer können Hinweise sein.“ Bei der Bulimie hingegen könnten ein Alarmsignal häufige Toilettengänge nach dem Essen sein, um das Gegessene wieder loszuwerden. Weitere Symptome, die auf eine Essstörung hindeuten können, sind körperliche Anzeichen wie Haarausfall, Blässe, Schwindel, vermehrtes Frieren oder das Tragen weiter Kleidung, um den Gewichtsverlust zu verbergen.
Der richtige Umgang als Eltern
Eltern stehen oft vor der Frage, wie sie am besten mit einem Kind mit einer Essstörung umgehen sollen. Zimmermann rät: „Es ist wichtig, immer im Gespräch zu bleiben und Interesse am Leben des Kindes zu zeigen.“ Bei Verdacht auf eine Essstörung sollte zunächst der oder die Kinderärzt*in aufgesucht werden. „Er oder sie kann die notwendigen medizinischen Untersuchungen durchführen und eine erste Einschätzung geben.“ Weitere Anlaufstellen sind psychologische Beratungsstellen, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen oder Fachärzt*innen für Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Hilfe im Notfall
In akuten Fällen, in denen ein Kind oder Jugendlicher gar nicht mehr isst, empfiehlt Zimmermann, sich notfallmäßig in eine kinderärztliche Praxis oder spezialisierte Klinik zu begeben. Für besonders schwere Fälle bietet die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Freiburg spezielle ambulante Sprechstunden an, um schnelle Hilfe zu gewährleisten.
Therapiemöglichkeiten – von ambulant bis stationär
Die Behandlung von Essstörungen erfordert Geduld und ist oft ein langer Prozess. Zimmermann betont: „Die Behandlung einer Essstörung ist keine Sprintveranstaltung, sondern ein Marathonlauf.“ Je nach Schweregrad der Erkrankung reichen die Behandlungsoptionen von ambulanter Therapie über tagesklinische Behandlung bis hin zu stationären Aufenthalten. Stationär erhalten die Patient*innen eine umfassende pflegerisch-pädagogische Betreuung im Alltag, therapeutische Einzel- und Familiengespräche – denn die Eltern sind die wichtigsten Co-Therapeut*innen -, Ernährungsberatung, sowie regelmäßigen Mahlzeitenplänen zur Gewichtszunahme. „Das oberste Ziel in der Behandlung ist die zügige Gewichtszunahme“, so Zimmermann. Die Aufenthaltsdauer in der Klinik variiert abhängig vom Ausgangsgewicht und der individuellen Reaktion auf die Behandlung. Mit im Programm sind Musik- und Ergotherapie sowie Motologie.
Heilungschancen – langwierig und mit viel Unterstützung
Essstörungen sind zwar ernsthafte Erkrankungen, doch die Heilungschancen sind gut, insbesondere bei frühzeitiger Behandlung. „Etwa 60 Prozent der Betroffenen zeigen nach der Therapie eine deutliche Verbesserung“, sagt Zimmermann. Dennoch seien Geduld und kontinuierliche Unterstützung entscheidend für den langfristigen Erfolg, damit die Kinder und Jugendlichen langfristig wieder zu einem gesunden Verhältnis zu Essen und ihrem Körper finden. „Leider muss ich ergänzen, dass einige Patient*innen auch einen oder mehrere Rückfälle haben.“ Darauf folgen meist mehrere stationäre Krankenhausaufenthalte – „und bedauerlicherweise ist die Anorexia nervosa die kinder- und jugendpsychiatrische Erkrankung mit der höchsten Sterblichkeitsrate“.
Nachsorge und langfristige Begleitung
Nach einer stationären Behandlung ist eine weitere ambulante Behandlung für mindestens ein Jahr empfehlenswert, um den Behandlungserfolg zu sichern und Rückfälle zu vermeiden. „Die Behandlung einer Essstörung ist ein langfristiger Prozess, bei dem die Unterstützung der Familie eine zentrale Rolle spielt“, unterstreicht Zimmermann.
Hier finden Sie zwei YouTube-Videos mit Dr. Madeleine Zimmermann:
Essstörungen bei Kindern - frühe Anzeichen, Therapie, Aussicht (youtube.com)
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