Artur Stoll
Vita„Barock sind meine Gedanken“
(Artur Stoll)
Spirale, Sperrholz/Papier/Leim, 90x83,5x3,5 cm, 1974
Artur Stoll de Norso – Maler, Zeichner, Plastiker. So kündigt sich der am 11. Juni 1947 in Freiburg geborene Künstler an. Mit Norso ist das schmucke Dorf Norsingen gemeint. Es liegt in malerischer Umgebung vor den Toren der Stadt Freiburg am Fuße des Hochschwarzwalds.
Zwischen 1969 und 1975 studierte Stoll an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. 1974 erhält er den Villa-Romana-Preis der Stadt Florenz. Aus diesem Jahr stammt die Plastik mit dem Titel „Spirale“ (Abb.). Es handelt sich um eine Arbeit aus Sperrholz, Papier und Leim mit den Maßen 90x83x5 cm. Das Spiralmotiv ist zwar kein Leitmotiv des Künstlers, gehört aber zu den wichtigen kompositorischen Elementen seines Werks. Im Vorzimmer des kaufmännischen Direktors Bernhard Grotz ist ein mittelformatiges Aquarell aus dem Jahre 1994 zu sehen, das ebenfalls den Titel „Spirale“ trägt.
Im Morat-Institut für Kunst- und Kunstwissenschaften in Freiburg präsentierte Stoll im Jahre 1984 eine Installation mit Arbeiten aus den Jahren von 1970 bis 1973 und 1983 bis 1984 (Abb.). Auch hier fallen zahlreiche Kreis- und Spiralformen auf, die in ihrer Kombination eine eigenwillige Dynamik veranschaulichen. Vielleicht wollte Stoll die Bewegung seines Lebensnervs, mit anderen Worten: die Vitalität seines artistischen Vermögens andeuten. Um diese Interpretation transparent zu machen, ist ein Gedicht des Künstlers hilfreich:
Bring Stroh in die Stadt
Versetze die Kathedrale aufs Kartoffelfeld
Barock sind meine Gedanken
Rosa Feuerzeug
Dunkler Tabak
Die Bühne und der Taubenschlag
Schlag auf Schlag
Der Maler, Tusche auf Papier. 65,5x85,5 cm, 1985
... barock sind seine Gedanken. Die Figura Serpentinata, die üppige Ornamentik und die beschwingten Kompositionen mögen eine Inspirationsquelle sein. Barock sind auch seine Poesie-Aktionen. Das Bodenständige erhält eine spektakuläre Nachbarschaft würdevoller Gebäude und schnittiger Objekte. Die poetische Konstruktion wäre tatsächlich als Spirale denkbar, zumindest als kreisförmige Bewegung ohne Ziel.
Dass Stoll sich selbst als Künstler empfindet, der um seine Sujets kreist, bis er den Zusammenklang zwischen innerer Stimmung und äußerem Objekt gefunden hat, um ihm eine adäquate Form zu verleihen, mag eine Tusche-Zeichnung aus dem Jahre 1985 veranschaulichen (Abb.) Wie eine Aura umgeben die Kreisformen das Profil. Von unten zackt sich ein Treppenarm in die Höhe, der in einer Spirale endet. Das Bild trägt den Titel „Der Maler“. Möglicherweise handelt es sich hier um ein Selbstporträt, vielleicht sogar um eine Darstellung in der ikonografischen Tradition der „Künstler-Inspiration“.
Blau im Fenster, Öl auf Leinwand, 30x40 cm, 1995
Im Jahre 1982 heiratet der Künstler Petra Deeg. Seit 1983 werden ihm jährliche Aufenthalte in den Ateliers des Morat-Instituts in Boissano, Ligurien ermöglicht. Ein Jahr später erhält er den Regiopreis für bildende Kunst der Fördergemeinschaft der Wirtschaft am Oberrhein. In diesen Jahren entsteht der „Falterzyklus“. Die Aquarelle zeigen insektenartige Wesen, die sich in Metamorphosen zu Schmetterlingen oder anderen unbekannten fliegenden Kleintieren befinden. Stoll gelingt die waghalsige Gratwanderung zwischen Konkretion und Abstraktion. Details wie Flügel oder Flügelmusterung, sperrige Beinchen oder scheinbar wippende Körper sind genau auszumachen. Sie sind eingebunden in eine Komposition von Schraffuren und Lineaturen, die dem Bild Komplexität und figurativen Ausdruck verleihen.
Das trifft auch auf die Ölgemälde zu, deren Titel Konkretes bezeichnen, sei es „Stilleben“, „Stadtblume“, „Norsingen“ oder „Blau im Fenster“. Das zuletzt genannte Gemälde, mittelformatig mit den Maßen 30x40 cm aus dem Jahr 1995, erscheint auf den ersten Blick als reine Farbkomposition. Das blaue rechteckige Zentrum ist als Komplementär-Akzent eingebettet in ein ockerfarbenes Rechteck. Balkenstrukturen und der scharfe Hell-Dunkel-Kontrast erzeugen eine räumliche Tiefe, so dass schnell das Sujet ausgemacht ist: Die Betrachter stehen im Raum und schauen aus dem Fenster in das intensive Blau des Himmels. Ende der achtziger Jahre erhält Stoll zwei Preise, den Reinhold-Schneider-Preis der Stadt Freiburg (1988) und im Jahr darauf den Kunstpreis des Landes Baden-Württemberg. Im Jahre 1999 wird er mit dem Erich-Heckel-Preis des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet.
Die üppig aufgespachtelte Farbe sowie die bodenständige Thematik und Motivik, die um den unmittelbaren Erfahrungs- und Erlebnisraum des Künstlers kreist, haben in diesem Zusammenklang einen unverwechselbaren Stil hervorgebracht, der in unserer Kunstlandschaft einzig ist. Seine Bilder sind zum Markenzeichen einer Künstlerseele geworden, die sich durch Vitalität, Fantasie und Sinnlichkeit auszeichnet. Die Koloristik erscheint nur vordergründig zügellos. Auf den zweiten Blick entfaltet sie ihre delikaten Übergänge und Kontraste. Die dynamischen Texturen der Gemälde und Objekte spiegeln sich nur für kurze Zeit auf der Oberfläche der Netzhaut, um danach tief in die inneren Empfindungen der Betrachter vorzudringen.
Dr. Ehrenfried Kluckert
Die Bilder wurden freundlicherweise von Artur Stoll & Petra Deeg-Stoll zur Verfügung gestellt.