Erweiterung des Neugeborenen-Screenings dringend gefordert
Babys mit lebensbedrohlicher Muskelkrankheit profitieren von möglichst früher Therapie, wie eine Studie des Universitätsklinikums Freiburg zeigt
Künftig sollten alle Neugeborenen routinemäßig auf die schwere Muskelerkrankung Spinale Muskelatrophie getestet werden. Das fordern Wissenschaftler des Universitätsklinikums Freiburg auf Basis einer am 16. Juli 2018 veröffentlichten Studie im Fachmagazin Journal of Neuromuscular Disease. „Es gibt seit Kurzem erstmals eine wirksame Therapie gegen die Spinale Muskelatrophie. Wir haben jetzt deutliche Hinweise, dass die Behandlung möglichst früh innerhalb der ersten Lebensmonate beginnen sollte. Die Durchführung eines Neugeborenen-Screenings für SMA ist entscheidend für die präsymptomatische Diagnose“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Janbernd Kirschner, Kommissarischer Ärztlicher Direktor der Klinik für Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen am Universitätsklinikum Freiburg.
SMA – häufigste genetische Todesursache bei Kindern
Spinale Muskelatrophie (SMA) ist eine genetische Erkrankung, bei der Nervenzellen im Rückenmark absterben, was zu Muskelschwund und allgemeiner Schwäche führt. SMA Typ 1, der häufigste und schwerste Subtyp der Krankheit, beginnt im Säuglingsalter und endet oft tödlich durch Ersticken oder Atemlähmung – die häufigste genetische Todesursache im Kindesalter.
Seit Ende 2016 ist erstmals ein Wirkstoff vorhanden, der die Nervenschädigung verlangsamt oder sogar aufhält. Aufgrund der sehr guten Ergebnisse wurde der Wirkstoff Nusinersen allen Patienten mit SMA Typ 1 schon vor der Zulassung zur Verfügung gestellt. Im Gegensatz zu den früheren klinischen Studien wurden daraufhin Kinder verschiedener Altersgruppen und verschiedener Stadien der Erkrankung mit Nusinersen innerhalb des Expanded Access Program (EAP) ausgewertet.
Beste Ergebnisse bei frühem Therapiebeginn
An der jetzt veröffentlichten Studie haben sich neben dem Universitätsklinikum Freiburg auch die Universitätskliniken Berlin, Essen, Gießen, Hamburg und Münster sowie das DRK Klinikum Westend in Berlin beteiligt. Die Analyse zeigt, dass Kinder mit SMA Typ 1 nach sechsmonatiger Behandlung mit dem Medikament Nusinersen eine Verbesserung der motorischen Funktion erreichen können, insbesondere, wenn die Behandlung vor dem siebten Lebensmonat begonnen hat. Kinder, deren Behandlung im Alter von sieben Monaten oder früher begann, profitierten mehr als Patienten, deren Therapie erste später begonnen hatte.
Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung der Früherkennung von SMA durch ein Neugeborenenscreening. „Unsere Ergebnisse sind ein weiterer Beweis dafür, dass eine frühzeitige Diagnose und Einleitung der Behandlung für Patienten mit infantiler Spinaler Muskelatrophie von grundlegender Bedeutung ist“, erklärt Professor Kirschner.
Die aktuelle Studie berichtet über die Ergebnisse von 61 Kindern mit SMA Typ 1, die zwischen November 2016 und Juni 2017 mit Nusinersen behandelt wurden. Die Patienten waren zwischen einigen Monaten und fast 8 Jahren alt. Die Symptome traten meist in den ersten drei Lebensmonaten auf und die meisten Babys wurden vor dem sechsten Lebensmonat diagnostiziert. Vor der Behandlung benötigten mehr als die Hälfte der Kinder eine künstliche Atemunterstützung, 20 Prozent hatten bereits einen Luftröhrenschnitt und mehr als die Hälfte eine Ernährungssonde.
Im Laufe der Nusinersen-Therapie beobachteten die Ärzte bei vielen Patienten motorische Verbesserungen Mittlerweile ist wurde Nusinersen für die Behandlung aller Patienten mit SMA zugelassen.Basierend auf den Ergebnissen dieser Studie zielt das Projekt SMArtCARE (www.smartcare.de) darauf ab, Daten aller SMA-Patienten zu sammeln, um die Wirksamkeit der Behandlung in unterschiedlichen SMA-Stadien, nach längeren Behandlungszeiträumen und die allgemeine Lebensqualität der Patienten und Betreuer zu evaluieren.
Original-Titel der Publikation: Evaluation of Children with SMA Type 1 Under Treatment with Nusinersen within the Expanded Access Program in Germany
DOI: 10.3233/JND-180-315
Link zur Studie: www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29689734
Weitere Informationen:
PM (14.11.2016): Häufigste genetische Todesursache bei Kindern erstmals behandelbar
Kontakt:
Prof. Dr. Janbernd Kirschner
Kommissarischer Ärztlicher Direktor
Klinik für Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen
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