Haar-Zyste liefert Erkenntnisse zur Tumorentstehung
Wenn zu vererbten Genfehlern im Laufe des Lebens erworbene Fehler dazukommen, kann die betroffene Zelle entarten. Dass dafür beide Fehler auf nur einer von zwei Genkopien liegen müssen, haben Forscher des Universitätsklinikums Freiburg herausgefunden
So groß wie ein Hühnerei können sie werden: Trichilemmalzysten sind gutartige Tumore, die aus Haarfollikeln der Kopfhaut entstehen. An diesen Zysten hat ein internationales Team unter Leitung von Forscherinnen und Forschern des Instituts für Humangenetik des Universitätsklinikums Freiburg einen neuen Mechanismus der Tumorentstehung beschrieben. Sie wiesen in aufwändigen Experimenten nach, dass es ausreicht, wenn in einer Zelle nur eine von zwei Genkopien fehlerhaft ist. Anhand von genetischen und funktionellen Laboruntersuchungen konnten sie zeigen, dass ein Teil dieser Genfehler vererbt wurde. Allerdings entstand die Zyste nur dann, wenn im Laufe des Lebens weitere Fehler in derselben Genkopie hinzukamen. Eine solche kombinierte Schädigung in nur einer Genkopie war bislang nicht beobachtet worden. Ihre Erkenntnisse, die auch für das Verständnis anderer zystenartiger Erkrankungen von Bedeutung sein könnten, veröffentlichten die Forscher am 10. Mai 2019 im Journal of Investigative Dermatology.
Doppelschlag auf einem Gen
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass eine einzelne vorgeschädigte Genkopie bei ungünstigen Umwelteinflüssen ausreichen kann, um schwere Erkrankungen hervorzurufen“, sagt Studienleiterin Prof. Dr. Judith Fischer, Direktorin des Instituts für Humangenetik am Universitätsklinikum Freiburg. Die Studie erweitert damit die sogenannte Knudson-Hypothese. Jede Zelle enthält die Erbinformationen in doppelter Ausführung, vom Vater und von der Mutter. Diese Genkopien werden als Allele bezeichnet. Die Knudson-Hypothese besagt folgendes: Enthält eines der beiden Allele tumorfördernde Veränderungen, kann das zweite, funktionsfähige Gen die Tumorentstehung unterdrücken. Verliert die zweite Genkopie im Laufe des Lebens durch erworbene Mutationen ebenfalls ihre Funktion, können die Zellen entarten und ein Tumor entsteht. Dass jedoch auch die Kombination aus vererbten und erworbenen Fehlern in der gleichen Genkopie zur Tumorentstehung führen kann, ohne dass das zweite Allel beschädigt ist, haben die Forscher jetzt erstmals gezeigt. Die Studie wurde im Rahmen der naturwissenschaftlichen Doktorarbeit von Steffen Hörer und in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus Freiburg, Graz und Sfax, Tunesien, durchgeführt.
Um den neuartigen Mechanismus aufzuklären, untersuchten die Wissenschaftler zunächst das Erbgut entarteter Zellen von Patienten mit Trichilemmalzysten und von deren Verwandten. Dabei entdeckten sie, dass es in der menschlichen Bevölkerung Personen gibt, die in einem Allel eine bestimmte Variante des PLCD1-Gens in sich tragen. „Diese sogenannten Risikoallele sind alleine noch nicht schädlich. Aber diese Personen sind anfälliger für weitere Mutationen auf dem gleichen Allel, die dann zur Entstehung von Trichilemmalzysten in Haarfollikeln führen“, sagt Hörer. Warum diese zusätzlichen Mutationen („second hit“) entstehen, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vollständig verstanden. Sicher ist aber, dass Personen, die sowohl das Risikoallel als auch zusätzlich erworbene Mutation tragen, Trichilemmalzysten entwickeln.
„Die Entdeckung dieses neuartigen Mechanismus ist ein wichtiger Schritt in der Tumorforschung. Denn es ist sehr wahrscheinlich, dass auch andere Tumoren oder zystenartige Erkrankungen wie die polyzystische Nierenerkrankung diesem Mechanismus unterliegen können“, sagt Fischer. Mit der Studie haben die Forscher nun einen neuen Ansatzpunkt, um diese Krankheiten zu verstehen.
Trichilemmalzysten – häufig, aber meist ungefährlich
Trichilemmalzysten sind sehr häufig auftretende gutartige Tumore, die sich aus einem Bereich der Haarwurzel entwickeln und hauptsächlich auf dem Kopf auftreten. Etwa zwei bis fünf Prozent der Bevölkerung sind betroffen. Normalerweise sind diese Zysten unbedenklich, können jedoch in Einzelfällen aufgrund ihrer Größe oder wegen einer Entzündung die betroffenen Personen stark beeinträchtigen. In diesen Fällen wird die Zyste durch einen kleinen chirurgischen Eingriff entfernt.
Original-Titel der Studie: A monoallelic two-hit mechanism in PLCD1 explains the genetic pathogenesis of hereditary trichilemmal cyst formation
DOI: 10.1016/j.jid.2019.04.015
Link zur Studie: https://www.jidonline.org/article/S0022-202X(19)31554-4/fulltext
Kontakt:
Prof. Dr. Dr. Judith Fischer
Ärztliche Direktorin
Institut für Humangenetik
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judith.fischer@uniklinik-freiburg.de
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