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Freiburg, 03.06.2016

Wissenschaftsrat empfiehlt die Förderung des "Institute for Disease Modeling and Targeted Medicine" (IMITATE)


Die Folgen von Genveränderungen analysieren und therapieren – das ist das Ziel des „Institute for Disease Modeling and Targeted Medicine“ (IMITATE) der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und des Universitätsklinikums Freiburg. Ein Antrag auf Förderung des Baus und der Ausstattung ist vom Wissenschaftsrat als förderwürdig anerkannt worden. Endgültig muss die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz am 24. Juni 2016 das Projekt genehmigen. „Wir freuen uns, dass das Projekt positiv evaluiert wurde und sich gegen eine harte Konkurrenz durchgesetzt hat. Wir hoffen, dass die GWK in Kürze die entsprechende Entscheidung fällt. Bei so viel Bundesgeld werden wir sicherlich auch von Landesseite unseren Beitrag leisten“, so Wissenschaftsministerin Theresia Bauer. Geplant ist, dass der Bund und das Land Baden-Württemberg IMITATE in den nächsten fünf Jahren mit rund 57 Millionen Euro fördern. 2022 soll das Forschungsgebäude an der Breisacher Straße bezugsfertig sein.  

„Bei IMITATE arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen miteinander unter einem Dach zusammen, um maßgeschneiderte Therapien für Patientinnen und Patienten zu entwickeln. Mit dem neuen Forschungsbau schaffen wir exzellente Arbeitsbedingungen für unsere hervorragenden Lebenswissenschaften“, sagt Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Jochen Schiewer, Rektor der Universität Freiburg.  

Dank technischer Fortschritte werden täglich tausende menschliche Genome entschlüsselt. Welche Genveränderungen aber tatsächlich krank machen und wie sie sich behandeln lassen, können Forscher bislang selten beantworten. Die IMITATE-Wissenschaftler wollen die Lücke zwischen den enormen Mengen an Genom-Daten und der fehlenden Anwendbarkeit am Krankenbett schließen und genau die Informationen extrahieren, die für einen individuellen Patienten und seine Behandlung entscheidend sind. Etwa 165 Mitarbeiter aus verschiedenen Fakultäten der Universität Freiburg und unterschiedlichen Bereichen des Universitätsklinikums, darunter sechs Nachwuchsgruppen, werden gemeinsam drei Forschungsschwerpunkte bearbeiten: 1) Datenanalyse und Modellierung genetischer und epigenetischer Erkrankungen, 2) Imaging und Charakterisierung der Modelle und 3) Suche nach individuellen Therapien.  

Damit Genveränderungen mit ausreichender Sicherheit als schädlich eingestuft werden können, müssen diese nach aktuellem Forschungsstand in einem Tiermodell nachgebildet werden – bisher nahezu immer in Mäusen. Hier will IMITATE neue Wege beschreiten. Es sollen vorzugsweise Zebrafisch- und Froschlarven, aber auch Fliegen und Fadenwürmer eingesetzt werden, um komplexe genetische und epigenetische Erkrankungen des Menschen aufzuklären. Obwohl den Menschen etwa 400 Millionen Jahre Evolution von diesen Organismen trennen, sind viele Genfunktionen gleich geblieben. „Beispielsweise kann die Nierenfunktion in diesen Tiermodellen bereits zwei bis drei Tage nach der Befruchtung der Eier untersucht werden“, sagt Prof. Dr. Gerd Walz, Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin IV des Universitätsklinikums Freiburg und Sprecher von IMITATE. „Dann sind die Larven erst wenige Millimeter groß, weitgehend durchsichtig und eignen sich insbesondere für hochauflösende Mikroskopie-Verfahren.“  

Aus diesem Grund wird IMITATE für fast sieben Millionen Euro mit den modernsten konfokalen Fluoreszenz- und Elektronenmikroskopen ausgestattet, die so empfindlich sind, dass Straßenbahn, Autos und selbst Fahrräder ihre Präzision beeinträchtigen. Es müssen umfangreiche architektonische und technische Vorkehrungen getroffen werden, damit die Geräte einwandfrei arbeiten können.  

Um genetische Erkrankungen im Tiermodell nachzubilden, werden die IMITATE-Forscher Genom-Editierungstechniken wie das CRISPR/Cas-System nutzen, mit dem sich Bakterien gegen Eindringlinge wehren. Mit diesem bakteriellen Abwehrsystem können Genome in sehr kurzer Zeit modifiziert werden. Idealerweise können die Forscher so nicht nur potentiell krankheitsverursachende Genveränderungen nachbilden, sondern auch erkrankte Gene korrigieren. Neuerdings gelingt dies auch in der Froschlarve, die sich insbesondere zur Untersuchung entwicklungsbiologischer Vorgänge eignet. Damit Frösche die für die Experimente verwendeten Eier legen, sind allerdings perfekte Temperatur- und Umweltbedingungen entscheidend, für die IMITATE entsprechende Voraussetzungen schaffen wird.  

Bevor Medikamente im Menschen zum Einsatz kommen und in Studien untersucht werden dürfen, verlangen Ethik-Kommissionen und Zulassungsbehörden den Nachweis, dass die Wirkstoffe mindestens in einem Säugetier effektiv und verträglich sind. Hier kommen in der Regel Mäuse zum Einsatz. Auch hier möchte IMITATE neue Wege gehen und überflüssige Experimente vermeiden. Dank effizienter Genom-Editierungsmethoden lassen sich komplexe genetische Erkrankungen in kürzester Zeit im Mausmodell darstellen, langwierige Kreuzungen entfallen.  

„Um die Zahl der notwendigen Experimente zu minimieren, wird ein hochmodernes Mauskrankenhaus mit MRT-, CT- sowie Ultraschall- und Biolumineszenz-Geräten eingerichtet“, erläutert Prof. Walz. So können Mäuse unter idealen Umweltbedingungen in perfekt klimatisierten Räumen wiederholt untersucht und Krankheitsmanifestationen möglichst früh und präzise erfasst werden. Dank dieser Neuerungen ist die vorgesehene „Spezifiziert Pathogen-Freie (SPF)“-Anlage mit circa 3.000 Käfigen für maximal 10.000 Mäuse vergleichsweise klein – normalerweise sind derartige Anlagen drei- bis viermal so groß.  

IMITATE wird enorme Datenmengen generieren. Ohne entsprechende Aufbereitung sind hochdimensionale Daten („Big Data“) jedoch „Big Chaos“. Daher integriert IMITATE verschiedene Gruppen aus den Bereichen Bioinformatik, Bilderkennung und Genetische Epidemiologie, um diese Daten in patienten-relevante Informationen zu übersetzen. Neuronale Netzwerk-Programme helfen beispielsweise, Videos auszuwerten, die während der Zebrafisch- oder Frosch-Entwicklung mittels hochauflösender konfokaler Mikroskopie aufgenommen wurden. Andere Computer-Programme sollen bereits während der Auswertung die Datenerfassung so optimieren, dass Experimente nicht unnötig wiederholt werden müssen. Letztlich geht es IMITATE darum, aus den umfangreichen Daten potentielle Angriffsmöglichkeiten für neue Medikamente zu entwickeln oder das Wissen zu schaffen, um bereits bekannte Medikamente zielgerichtet einzusetzen.    

Hintergrund Genom-Analyse  

Das menschliche Genom umfasst etwa drei Milliarden DNA-Basenpaare, welche für 20.000 Gene beziehungsweise Eiweiße kodieren. Damit werden nur knapp zehn Prozent der potentiellen Speicherkapazität des Genoms genutzt. Technische Fortschritte haben die Kosten für die Sequenzierung eines humanen Genoms von mehreren Milliarden auf einige Hundert Euro reduziert. Die daraus resultierende Massen-Sequenzierung hat gezeigt, dass fast jedes zweite Gen Abweichungen aufweist. Diese Abweichungen bleiben in der Regel unbemerkt, da für die meisten Eiweiße zwei Genkopien vorliegen: die vom Vater und die von der Mutter geerbte Variante. Abweichungen werden in der Regel von der zweiten Genkopie ausgeglichen. Überrascht hat die Forscher, dass bei jedem Menschen durchschnittlich sogar fünf bis 20 Gene komplett ohne erkennbare Folgen fehlen.  

Patientenbeispiel

Die 35-jährige Helga K. hat ein Problem. Ihr Hausarzt hat eine Einschränkung ihrer Nierenfunktion festgestellt. Bisher hat sie nichts bemerkt und ist als Geschäftsfrau und Mutter zweier gesunder Kinder sehr aktiv. Allerdings bereitet ihr Sorgen, dass ihr Vater im Alter von 55 Jahren mit Nierenversagen transplantiert werden musste. Und auch ihr Großvater war im Alter von 60 Jahren überraschend gestorben – angeblich wegen eines Nierenproblems. Offensichtlich gibt es in der Familie eine genetische Belastung. Kurz entschlossen lässt Helga K. ihr komplettes Genom sequenzieren. Das Ergebnis ist frustrierend: Niemand kann sagen, ob ihre Erkrankung genetisch bedingt ist.  

Der Grund dafür liegt in der komplexen Struktur des menschlichen Genoms. Drei Milliarden DNA-Basenpaare kodieren 20.000 Gene. Die Sequenzierung fördert bei Helga K. nicht ein einziges krankheitsverursachendes Gen zu Tage, sondern zeigt Veränderungen in mehreren verschiedenen Nierengenen. Gegenwärtig ist unbekannt, ob genau diese Veränderungen zum Nierenversagen führen können.  

Noch schlimmer ist für Helga K., dass sie nicht weiß, ob sie ihre Erkrankung an ihre beiden Kinder weitervererbt hat. Klassische genetische Erkrankungen werden durch Mutationen in einem Gen verursacht und folgen einem typischen Vererbungsmuster, das von dem Ordenspriester Gregor Mendel bereits 1866 entdeckt wurde. Viele Erkrankungen des Menschen wie Blutzucker oder -hochdruck werden jedoch von mehreren Genen gleichzeitig verursacht und durch Umweltfaktoren wie Ernährung zusätzlich beeinflusst. Dies trifft wahrscheinlich auch für die Nierenerkrankung von Helga K. zu. Da sie einen gesunden Bruder hat, erkrankt offensichtlich nicht jedes Familienmitglied.  

Für den Fall, dass die Nierenerkrankung nicht genetisch bedingt ist, sondern durch eine Fehlregulation des Immunsystems ausgelöst wurde, wird Helga K. eine risikoreiche Chemotherapie empfohlen. Um zu klären, ob sie davon einen Nutzen haben könnte, muss ihr Genom inklusive der veränderten Gene mit der CRISPR/Cas-Methode im Zebrafisch nachgebildet werden. So können die Konsequenzen der Veränderungen untersucht werden. Innerhalb weniger Monate lässt sich zeigen, ob Helga K. an einer genetischen Nierenerkrankung leidet – und die Chemotherapie somit sinnlos wäre. Gleichzeitig kann am Modell untersucht werden, warum es überhaupt zu der Nierenerkrankung kommt und wie eine zielgerichtete, für Helga K. individuelle Therapie aussehen müsste.


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