Das Magazin 2 - 2018
GEHIRN IN FLAMMEN Auch bei psychischen Krankheiten wie Depression, Autismus und Schizo- phrenie gibt es deutliche Hinweise, dass Mikroglia und chronische Ent- zündungsprozesse eine Rolle spielen. So auch bei einer jungen Frau, die in nerhalb weniger Monate wahnhafte, aggressive Züge entwickelt. Mehrere Ärzte diagnostizieren eine Schizo phrenie. Doch die klassische Therapie bringt kaum Besserung. Nach zwei Jahren wird sie am Universitäts klinikum Freiburg untersucht. Professor Dr. Ludger Tebartz van Elst von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie stellt gemeinsam mit dem Liquorlabor der Klinik für Neuro logie und Neurophysiologie unter Lei tung von Privatdozent Dr. Oliver Stich fest: Das körpereigene Immunsystem der Frau greift Zellen imGehirn an und löst so die Beschwerden aus. Um die Entzündung zu stoppen, erhält die Frau zwei Wochen hochdosiert Kortison; mit Erfolg. Die Frau kann das Krankenhaus verlassen und ist bald darauf vollständig geheilt. IST ALZHEIMER EINE AUTOIMMUN-KRANKHEIT? Auch bei anderen Krankheiten des Gehirns dürften Mikroglia und Ent- zündungen eine Rolle spielen, etwa bei neurodegenerativen Krankhei- ten wie Alzheimer. So fanden Prinz und seine Kollegen bei Mäusen her- aus, dass die Immunreaktion zu stark ist und Nervenzellen abster- ben, wenn es aufgrund eines Gen defekts zu viele Mikroglia gibt. Zu viele Gärtner richten also auch Schaden an. Mit einem in der Krebs- therapie zugelassenen Stoff hemm- ten die Forscher das Gen. Die Hirn- schäden traten bei denMäusen dann deutlich später und schwächer auf. „Unsere Studie bringt erstmals den Nachweis, dass Immunzellen des Gehirns neurodegenerative Krank- heiten auslösen können. Gleichzei- tig eröffnet sich dadurch ein neuer, sehr interessanter therapeutischer Ansatz“, sagt Prinz, der auch Sprecher des Sonderforschungs bereichs/Transregio 167 „Neuromac“ der Deutschen Forschungsgemein- schaft ist. Auch wenn die Mikroglia an der Ent- stehung neurodegenerativer Krank- heiten beteiligt sein können, sind sie im Kampf gegen Alzheimer unver- zichtbar. Denn sie entsorgen die als Plaques bezeichneten Eiweißablage- rungen, die für die Symptome ver- antwortlich sind. Prinz und seine Kollegen schalteten bei Mäusen zwei Gene in den Immunzellen aus. Daraufhin fraßen die Mikroglia mehr Ablagerungen und die kogni tive Leistung der Tiere besserte sich. Die Zellen sind also beides: Gärtner und Übeltäter. I VERGIFTETE NERVENZELLEN Rund 130.000 Menschen leiden in Deutschland an der Krankheit, bei der die Schutzhüllen der Nervenzel- len zerstört und die Nervensignale verlangsamt weitergeleitet werden. Sehschwäche, Kribbeln an Armen und Beinen und Sprechstörungen sind typische Symptome, später auch Bewegungsstörungen und Lähmung. Die Ursache der MS war lange unbe- kannt – und damit eine zielgerichtete Therapie unmöglich. Hier gelang dem Neuropathologen Prinz und seinem Team ein Durchbruch. „Manchmal produzieren Mikroglia Entzündungsstoffe, die eigentlich dafür gedacht sind, Bakterien abzu töten. Aber offensichtlich sind diese Stoffe auch für die Nervenzellen gif- tig“, sagt Prinz. Genau das scheint bei MS zu passieren, wie der Neuropatho- loge herausfand. Der Gärtner vergif- tet die Bäume also versehentlich, an- statt sie zu pflegen. Diese Erkenntnis lieferte erstmals einen konkreten Ansatzpunkt für eine ursachenbe zogene Therapie der Krankheit. Schwerpunkt Chronische Entzündungen 11 das magazin 02 | 2018
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